Ich nehme an, wenn mir die Entscheidung nicht abgenommen worden wäre, hätte die Mischung aus Widerwillen, Angst und Ekel die Oberhand behalten. Aber so richtig sicher bin ich mir da jetzt immer noch nicht.
Um ein Haar hätte ich jetzt im Flugzeug nach Köln gesessen, auf dem Weg zur Aufzeichnung von "Menschen bei Maischberger". Dort hätte ich unter anderem mit Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky über Ober- und Unterschicht, über Arbeit und Arbeitslosigkeit diskutiert. Ob mir das wirklich gelungen wäre? Ich bezweifle es. Ich hätte mich gründlich vorbereitet, ja. Aber wenn ich schon im wirklichen Leben ein rhetorisch Minderbegabter bin, dann dürften Fernsehkameras, Scheinwerfer und Publikum aus mir einen stammelnden Idioten machen. Das war einer der vielen Gründe, die klar für eine Absage sprachen, als am Mittwoch letzter Woche per E-Mail die Anfrage von "Menschen bei Maischberger" kam. Und doch habe ich in den knapp zwei Tagen, bis mir am Freitag die Entscheidung abgenommen wurde, die absolute Hölle durchlebt. Für viele ist das eventuell nicht nachvollziehbar, aber ich übertreibe nicht. Mir war phasenweise schlecht vor Verzweiflung, mein Magen rebellierte und ich war unfähig, irgendeiner Beschäftigung nachzugehen. Ich glaube nicht, dass ich in den vierzig Stunden irgendeinen Moment lang nicht damit beschäftigt war, Vor- und Nachteile abzuwägen, meinen Bauch zu fragen und meinen Kopf, Kollegen und Kinder um Rat zu bitten, es half alles nichts.
Es gab nur einen einzigen Grund, bei dieser Sendung mitzumachen, aber der war so schwergewichtig, dass er sich gegenüber den vielen Argumenten, die dagegen sprachen, nicht unterkriegen ließ: Geld. Die Möglichkeit, dass ein in die Kamera gehaltenes Exemplar meines Buches den Verkauf so ankurbeln würde, dass es doch noch die Spiegel-Bestsellerliste erreicht, war für mich von existenzieller Bedeutung, auch im Hinblick auf die Zukunft, auf weitere Bücher, die natürlich besser an Verlage und Leser zu bringen waren, wenn man schon mal einen Bestseller hatte.
Wäre es nicht sogar fahrlässig, sich so eine Chance engtgehen zu lassen? Der Aufwand war ja überschaubar: nach Köln fliegen, 75 Minuten Aufzeichnung über sich ergehen lassen mit dem Risiko, sich zu blamieren, zurückfliegen. Unangenehm für mich, keine Frage, ich bin das Gegenteil von einer Rampensau, aber da musste man durch, vor allem, wenn so weitreichende positive Auswirkungen winkten.
Das Problem ist: das Wort "unangenehm" beschreibt nicht im Entferntesten zutreffend, wie mir beim Gedanken daran zumute ist, bei etwas wie einer Talkshow mitzumachen. Jede Faser meines Körpers sträubt sich dabei und jede Gehirnzelle funkt: ICH WILL DAS NICHT! Stellt euch vor, ihr wärt Vegetarier und müsstet einem Schlachtfest beiwohnen mit anschließendem Verzehr diverser Innereien, oder ihr habt panische Flugangst und müsstet eine Stewardessenausbildung absolvieren, dann habt ihr ungefähr eine Ahnung, was in mir vorging. Das ist einfach nicht meine Welt.
Zum Glück für mich kam die Anfrage extrem kurzfristig. Die Vorstellung, sich wochen- oder gar monatelang mit dem Problem herumzuschlagen, macht mir Angst. Am Mittwoch kam die Anfrage, am Donnerstagmorgen rief ich zurück. Die Dame am Telefon erklärte mir, die Planungen seien nun doch schon abgeschlossen. Ich wusste noch gar nicht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte, als sie wieder anrief und mich um ein schnelles Treffen bat noch am selben Tag bat, man plane nun doch mit mir.
Bisher war ich noch recht entspannt gewesen, da noch nichts wirklich greifbar war, aber nun wurde es ernst und das wirkliche Martyrium begann dann nach dem Vorgespräch, als sie mir mitteilten, dass sie sich am nächsten Tag bei mir melden würden.
Übrigens konnte ich während des Gesprächs durch eine Glastür einen Mitarbeiter Golf spielen sehen und hätte beinah laut losgeprustet, ich weiß gar nicht genau warum. Das war so, wie wenn du nach Frankreich fahren würdest und die Leute hätten tatsächlich alle ein Baguette unterm Arm. Aber vielleicht spielte er ja auch irgendwie ironisch gebrochen Golf.
Wieder zu Hause sprang ich im Sekundentakt zwischen "Ich zieh das einfach durch!" und "Den Mist tu ich mir nicht an!" hin und her. Es war die Hölle, Hölle, Hölle. Und die Nacht war natürlich schlaflos.
Als am Freitagvormittag das Telefon klingelte, hatte ich lediglich die Entscheidung getroffen, nochmal um eine kurze Bedenkzeit zu bitten, falls man mir zusagen würde. (Sinnlos natürlich. Je länger die Zeit verstrich, um so verzweifelter wurde ich nur, einer Entscheidung brachte mich das nicht näher.)
Und dann wurde ich erlöst, man bedauerte, sich diesmal gegen mich entschieden zu haben. Im Prinzip war es das beste, was mir passieren konnte, denn eine eigene Entscheidung, egal, wie sie ausgefallen wäre, hätte ich womöglich noch ewig hinterfragt.
Eine kleine Warnung kam aber noch: man hätte ja jetzt meine Daten, und sie könnten sich vorstellen, mich vielleicht zu einer anderen Sendung mal einzuladen. Oh Mann. Ich freu mich jetzt schon darauf, die richtige Entscheidung zu treffen.