Ärgerlich an Büchern wie dem vor kurzem erschienenen
"Stresstest Deutschland - Wie gut sind wir wirklich?" von Jens Berger ist die Tatsache, dass sie vermutlich nicht von Bild-Lesern, sondern zum Großteil von denjenigen gelesen werden, die schon vor der Lektüre des Buches die Politik in Deutschland kritisch hinterfragt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass etwas mächtig schief läuft. Das ist schade, aber dafür kann ja Jens Berger nichts.
Man müsste die Masse der Bild-Leser und SPD-, CDU-, und FDP-Wähler dazu zwingen, dieses Buch zu lesen, und sie danach befragen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es einige gäbe, die ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen würden, von diesem und jenem nichts gewußt zu haben.
Auch mir war einiges neu, so z.B. das 2004 von der Bundesregierung verabschiedete, unfassbar dreiste Personalaustauschprogramm "Seitenwechsel", welches zuvor vom Bundesministerium des Inneren und der Deutschen Bank ausgearbeitet worden war. Dieses Programm sah vor, Mitarbeitern von Verbänden und Unternehmen die Gelegenheit zu geben, in den Ministerien mitzuarbeiten, während dafür im Austausch Beamte der Ministerien in die freie Wirtschaft reinschnuppern sollten. Das angebliche Ziel: ein "langfristiger Wissenstransfer und ein Mentalitätswechsel" in der Bundesverwaltung.
Während sich die Lust der Beamten auf den "Seitenwechsel" in Grenzen hielt, nahmen die Vertreter der Unternehmen und Verbände das Angebot mit Kusshand an und konnten so ganz legitim ihre Interessen in den jeweiligen Ministerien durchsetzen. Wahnsinn, oder?
Von den vielen weiteren Zusammenhängen zwischen Politik und Wirtschaft, die im Buch dargestellt werden, war mir das meiste bekannt, aber es ist trotzdem erschreckend, die Belege dafür in solch einer Dichte schwarz auf weiß vor sich zu haben.
Die größte Stärke des Buches besteht darin, auch für wirtschaftspolitische Halbgebildete wie mich wunderbar anschaulich die Unterschiede zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft, die Folgen eines Exportüberschusses auf die Binnennachfrage und den Segen der Staatsanleihen für den Bankensektor zu erklären.
Kauft das Buch und verleiht es in eurem Bekanntenkreis an jene Leute, die die SPD immer noch für sozialdemokratisch und die derzeitige Wirtschaftspolitik für alternativlos halten. Und beherzigt das, was Jens Berger im letzten Kapitel schreibt: Empört euch! Werdet aktiv!